Vielfalt der Seidennutzung

„Seide kleidet die Reichen und nährt die Armen“. Diese Charakteri­sierung wird der Bedeutung der Seide nur zum Teil gerecht: Die Kombination einzigartiger Eigenschaften machte Seide – vor der Erfindung von Kunstfasern – für ganz unterschiedliche zusätzliche Verwendungen unersetzlich:

Von Anfang an dienten Seidengewebe vor allem der Demonstration von Macht und Reichtum: Sei es als Prunkkleidung von Herrschern und Priestern, zur Ausstattung repräsentativer Räumlichkeiten mit Vorhängen, Teppichen, Tapeten, Möbelstoffen, Tisch- und Altar­decken, oder bei Auftritten im Freien, wo mit Bannern, Fahnen, Fächern und Baldachinen auch große Menschenmengen beein­druckt werden konnten. Ihre rel. Verrottungsfestigkeit machte Seide außerdem zu allen Zeiten auch zum bevorzugten Gewebe für Prunk­bestattungen in Form von Leichentüchern und Sargauskleidungen.

Ihre Bedeutung als edelste Naturfaser konnte die Seide auch nach dem Siegeszug der Kunstfasern bis heute bewahren: zumindest für festliche Kleidung, hochwertige Accessoires wie z.B. Krawatten und Tücher oder als qualitätssteigernde Komponente in Mischgeweben.

Unerwartet vielseitig sind die Einsatzmöglichkeiten von Seide auch im technisch-praktischen Bereich: Reißfestigkeit, Dehnbarkeit, Beständigkeit und elektrisches Isolationsvermögen machten Seide – zumindest zeitweise – unentbehrlich für folgende Einsatzbereiche:

Am Beispiel der Konstruktion der ersten Flugzeuge (Bambusgestelle mit Seide bespannt) wird die Bedeutung der Seide für die Entstehung neuartiger Wirtschaftszweige deutlich. Auch die chemische Industrie (Farbstoffproduktion), der Maschinenbau(Webstuhlfertigung) und das Bankwesen (Kredite für Webereigründungen) erhielten entscheidende Wachstumsimpulse durch die Seide.

Die „Sinnlichkeit“ von Geweben aus reiner Seide beruht auf ihrer bisher von keiner Kunstfaser erreichten Kombination günstiger Grund­eigenschaften: Ihr hautähnlicher Aufbau aus keratinähnlichen Eiweißen in Verbindung mit ihrer durch die extreme Faserlänge bedingten Glätte macht sie unübertrefflich hautfreundlich: Keine herausragenden Faser- Enden, keine Allergene reizen die Haut. Angenehm empfindet man, dass sie sich bei Hitze kühl, in der Kälte warm und auch dann noch nicht nass anfühlt, wenn sie 30% ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufgenommen hat.

Sie schmeichelt unserer Haut und war deshalb schon immer gefragt, wenn neben Gesundheitsaspekten erotische Wirkungen beabsichtigt waren.

Seit über 2000 Jahren wird die verführerische Kraft seidener Schleier, Strümpfe, Bettwäsche, Dessous und Kissenbezüge genutzt, und selbst Anhänger von SM-Praktiken erhoffen sich von rotgefärbten Bondage­ Seilen aus reiner Seide zusätzlichen Lustgewinn.

Auch in Zukunft wird uns Seide noch mit neuartigen Anwendungen überraschen. Zurzeit beschäftigen sich Forscher damit, die gut ver­träglichen Seiden-Proteine synthetisch herzustellen und medizin­technisch zu nutzen, z.B. für Kosmetika und für die Herstellung dünner Folien für gerichtetes Wachstum von Zellkulturen oder die Beschichtung künstlicher Implantate.

Auch für rein technische Anwendungen bleibt die Seidenraupe interessant: Man hat zwar festgestellt, dass die Seidenfäden gewisser Spinnen noch zugfester sind. Da sich aber Spinnen nicht in Massen­kulturen halten lassen, nutzt man gezielt moderne biologische Tech­niken, um Spinnengene in das Genom des Maulbeerseidenspinners einzuschleusen. So erreicht man, dass Seidenraupen Spinnenseide produzieren. Damit steht fest: Bombyx mori wird auch weiterhin unsere Welt verändern!